Mein lieber Georg,
heute bekam ich Deinen Brief vom 21., für den ich Dir herzlich danke. Ich weiß gar nicht, wie Du das fertig bringst: anstatt über Deine Lage zu klagen, gibst Du mir mit jedem Brief neue Kraft u. neuen Trost. Du hast es doch so viel schwerer als ich: Deiner Freiheit u. aller Gesellschaft beraubt, ohne rechte Arbeit, ohne manche Bequemlichkeiten bist Du stärker als ich, die doch eine schöne Arbeit, ein hübsches Zuhause, viele freundliche Menschen hat. Na, letzten Endes wird unser Kräfteverhältnis immer so bleiben, daß Du in jeder Lage der stärkere von uns beiden bist. Und das ist gut so für mich.
Was unsere Zukunft anbetrifft, bist Du offenbar zu pessimistisch. Daß man so lange auf eine Entscheidung warten muß, braucht nichts Böses zu bedeuten. Vielleicht dauert es stets so lange, bis ein Beschluß gefaßt wird. Als Du seinerzeit aus der Untersuchungshaft entlassen wurdest, mußtest Du auch 3 ½ Woche warten, bis Du Bescheid bekamst, was weiter mit Dir werden sollte. Dann kann es vielleicht auch noch einen anderen Grund haben, daß bis jetzt noch nichts angeordnet ist. Als sich zu eurem Prozeß das Gericht zur Beratung zurückzog, erzählte mir Frl. Reinmuth ganz aufgeregt, der Staatsanwalt hätte gesagt, er könne sich kein klares Bild über die Lage der Dinge machen, ehe nicht der Berliner Prozeß beendet wäre. Damals fürchtete Frl. Reinmuth, daß euer Prozeß deshalb nochmals verschoben würde. Das ist ja Gott sei Dank nicht geschehen. Aber das Hinausschieben Deiner Entlassung aus der Schutzhaft hängt vielleicht mit diesem Ausspruch des Staatsanwalts zusammen. Der Berliner Prozeß hat, wie ich hörte, am Dienstag, dem 19. begonnen u. wird vermutlich erst am 25. oder 26. 11. beendet sein. Dann aber nehme ich an, wird man Dich gleich entlassen.
Du wunderst Dich gewiß, daß Dr. Melzer sich gar nicht mehr um dich kümmert. Er betrachtet wohl seine „Mission“ bei Dir mit dem Freispruch für abgeschlossen. Das ist ja begreiflich. Nun hätte ich ihn ja bitten können, nach Dresden zu fahren usw. Ich habe es aber deshalb nicht getan, weil es wieder eine Menge Geld kosten würde u. Dr. Melzer doch wohl, wie frühere Erfahrungen gezeigt haben, wegen Deiner Schutzhaftentlassung nichts erreichen konnte. Georg, denke nicht, daß ich an Dir sparen will! Ich denke bloß, es hat keinen Zweck.
M. E. mußt Du nun aber unbedingt ein Gesuch nach Dresden richten, wenn Du nächste Woche nicht herausgelassen wirst. Oder soll ich es machen? Mir hat Dein Sachbearbeiter bei der Geheimen Staatspolizei seinerzeit als Grund für Deine Inschutzhaftnahme angegeben: Du hättest Dich an der Aufrechterhaltung des Zusammenhalts einer anderen Partei als der NSdAP beteiligt. Da aber nach dem Urteil des Landgerichtes Dir das nicht nachgesagt werden kann, muß man Dich doch nun freilassen.
Ich wollte sehr gern dieses Gesuch mit Dir besprechen u. habe deshalb ein Gesuch um Besuchserlaubnis gemacht (So ohne weiteres darf ich Dich nicht sehen.) Hoffentlich bekomme ich bald Antwort.
Auf alle Fälle schaffe ich Dir am Montag Deine Rüben u. Zwiebeln herein (Du armer Bursche!) Was Du sonst noch wünschst, werde ich zu erfahren suchen. Leider hast Du es ja aus Zeitmangel in Deinem Brief nicht mehr schreiben können.
Hat man Dir Dein Geld nicht zur Verfügung gestellt, weil Dein Brief unfrankiert ist? Ich war gleich am Dienstag im Pol.-Präs. und wollte Geld für Dich einzahlen, weil Du mir mal geschrieben hattest, es dauerte eine Weile, bis das Geld von einem Gefängnis zum anderen überwiesen würde. Aber im Pol-Präs. sagte man mir, Du hättest genug, 24 M.
Ich halte es für ausgeschlossen, daß man Dich nach einem Freispruch ausweist. Wie sollte das auch möglich sein? Gewiß, wenn man Dich schuldig gesprochen hätte, wäre es etwas anderes.
Sollte es doch, wieder alles Erwarten, geschehen, müßtest Du selbst einmal nach Dresden fahren u. versuchen, eine Rückgängigmachung dieses Beschlusses durch eine genaue Darlegung Deines durchaus passiven Verhaltens zu erreichen.
Auf alle Fälle erwarte ich für die nächste Woche bestimmt eine Entscheidung.
Daß Du jetzt hier in Leipzig bist, ist besser u. schlechter, als wenn Du weit weg bist. Ich kann doch öfter nach Dir fragen, erfuhr z. B. am Montag, daß Du nach dem Pol.-Präs. geschafft würdest. Ich hörte so ungefähr die Zeit, wann der Transport abging (vielleicht habe ich auch etwas ganz Falsches aufgeschnappt) u. wartete um die Zeit auf der Straße. Aber kein Auto war zu sehn.
Aber wenn ich Dir auch öfter etwas schicken kann, so ist das Bewusstsein, Dir nah u. doch ganz fern zu sein, direkt qualvoll.
Wenn ich an der Kasse der Gefangenenanstalt war, sah ich die Glastür zu dem Zellengang. Einmal stand sie sogar offen, weil die leeren Eßgeschirre herausgeschafft wurden. Da kam es mir einfach sinnlos vor, daß ich nun nicht durch diese Tür zu Dir gehen durfte.
Ich bedauere Dich sehr, daß Du keine Zeitung lesen darfst. Es ist sicher nicht schön, so den Kontakt mit der Außenwelt zu verlieren.
Daß Du gesund bist, macht mich ganz glücklich. Das war auch der beste Eindruck vom Verhandlungstag, daß Du so gesund aussahst.
Du schreibst, daß ich Kraft hätte. Von Natur aus ist es nicht weit her damit. Aber meine große Zuneigung zu Dir gibt mir immer wieder Kraft. Diese Zuneigung ist in diesem Jahr immer fester geworden.
Alles Gute!
Deine R.