Brief von Rosemarie

Lieber Georg,
ich bin eine pflichtvergessene Person. Statt zu korrigieren, schreibe ich Dir. Ich muß es aber tun, weil Du gleich wissen mußt, daß ich über Deinen Brief vom 8. 11. sehr froh bin. Du entschädigst mich für das Schwere, was ich durchmachen mußte, wenn Du mir sagst, daß Du zufrieden mit mir bist und Dich auf mich verläßt. Für mich gibt es nichts Schöneres als ein Lob von Dir, denn ich möchte Dir gefallen. Nicht äußerlich, sondern so. daß Du mich wert hälst.

Es ist sehr gut, daß Du Schach spielen kannst. Auch das, was Dir Deine Kameraden erzählen, ist sicher – menschlich – interessant. Du kommst jetzt mit Menschen zusammen, die Du unter anderen Umständen nie kennengelernt hättest. So ein Eindringen in einen anderen Lebensraum ist bestimmt lehrreich.

Du triffst durchaus das Richtige, wenn Du Frl. Hoffmann Sensationslust nachsagst. Auch das Pflichtgefühl meinem Vater gegenüber, dem sie treulich anhängt, spielt eine Rolle. Aber überwiegend ist doch eine herzliche Anteilnahme an meinem Geschick. Ich habe ein warmes, menschliches Verhältnis zu ihr gewonnen.

Auch ich denke dankbar an (die) kurze Zeit des Beisammenseins mit Dir, die man uns gewährte. Die Vorstellung, daß wir wieder einmal solange beieinander sitzen u. uns erzählen werden, wie wir wollen, erscheint mir jetzt geradezu fantastisch. Aber es wird ja einmal sein, Georg, ganz, ganz bestimmt. All das kann lange dauern aber nicht immer. Und dann werden wir unser Leben neu bauen – von unten auf – aber mit ganz neuen Kräften. Mir kommt es jetzt so vor, als ob ich überhaupt nicht mehr müde sein werde, wenn Du wieder bei mir bist. Schon Deine Briefe geben mir stets neue Kraft.

Heute war ich zum Tee eingeladen, da war auch ein Student, der glich Dir etwas. Er war auch so ruhig und natürlich wie Du. Ich unterhielt mich ganz gut mit ihm u. dachte dabei, wie ich diese Deine Art liebe. Alle Männer, die nicht Deine Festigkeit u. Ruhe haben, kommen mir gar nicht wie Männer vor. Ihnen gegenüber fehlt mir das Gefühl des Geborgenseins, das ich bei dir stets habe.

Etwas ganz anderes: ich bin jetzt eine fanatische Anhängerin des Radfahrens geworden. Ich denke manchmal mit Kummer daran, daß ich früher auf das Rad, das Du mir geschenkt hast, oft schimpfte. Jetzt liebe ich es aber, rase überall in der Stadt herum, spare viel Geld u. bin viel an der frischen Luft. Ich glaube, ich bin früher zu langsam gefahren. Da geht es viel schwerer. Ich habe jetzt aber auch einen Hosenrock, das ist bequem, da rutscht einem der Rock nicht weg.

An meinen Kleidern merke ich so recht, wie lange Du fort bist. Immer habe ich irgend etwas Hübsches für Deine Rückkehr aufbewahrt – im Frühjahr, im Sommer, im Herbst. Jedesmal mußte ich es schließlich doch anziehen, für fremde Leute, an denen mir nichts liegt.
Es scheint mir sogar jetzt noch so zu gehen, daß ich vergeblich etwas Hübsches für Dich vorbereite. Auf meinem Balkon habe ich eine wahre Alpenveilchenkultur. Sie stammen alle von meinen Mädels, vom Geburtstag. Mit viel Kunst, unter Frl. Kretzschmars Beistand, halte ich die Pflanzen im Blühen zurück, damit Du Dich noch dran freuen kannst. Na, wenn es so weiter geht wie bisher, siehst Du weder Knospe noch Blüte.

Aber im Ernst, Junge: ich nehme an, daß Du bald herauskommst. Nach Sachsenburg schickt man Dich sicher nicht wieder. Dr. Ziegler vom Polizeiamt hat mir seinerzeit gesagt, daß Du vor dem 14. Oktober (bez. 1. Nov.) nicht aus der Schutzhaft entlassen würdest. Daraus kann man vielleicht doch schließen, daß nach der Verhandlung an eine Entlassung zu denken ist.

Das einzige, was mir Dr. Melzer mitteilte, ist, daß über Dich Anfang dieser Woche (11. – 18.) entschieden wird. Ich bitte Dich sehr, mich, wenn irgend möglich, gleich zu benachrichtigen, wenn irgend eine Veränderung Deiner Lage erfolgt. Solltest Du mich zuhause nicht antreffen, liegt ein Schlüssel bei unseren Nachbarn. Ich bin oft bei der Mutter, rufe dann doch gleich an. Die erbetenen Bücher schicke ich jetzt nicht – ich warte, bis der „Anfang der Woche“ vorbei ist. Bitte schreibe, ob Du Geld oder Wäsche brauchst. Ich habe diesen Freitag ganz vergessen. Ich bin aber auch zu dumm! Eben fällt mir’s ein! Bitte sei nicht böse.

Und nun „Gute Nacht“. Ich bin so glücklich, daß Du mich Deinen besten Kameraden nennst. Niemand gönne ich diesen Titel. Manchmal ist es Dir vielleicht doch so erschienen, als ob ich’s nicht bin, wenn ich etwas nicht gleich schickte oder scheinbar nicht schrieb oder nicht kam. Aber glaube mir, Georg, was Dich betrifft, habe ich mich stets bemüht, ganz rasch zu handeln u. alles Mögliche zu tun. Aber manchmal gab es bei mir oder auch bei Dir Hindernisse, von denen Du nichts weißt. Z. B. das Schachspiel habe ich am selben Tag abgeschickt, an dem ich Deinen Brief erhielt.

Und nochmals alles Gute!

Deine Rose