Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

ich kann Dir gar nicht sagen, welche Zaubermacht die kleinen weißen Zettel mit den kärglichen Zeilen haben, die ich jeden Sonntag bekomme. Eben noch war ich mürrisch, langsam bei der Arbeit, das Leben sah grau und hoffnungslos aus. Kaum habe ich den Brief von Dir in der Hand, werde ich froh und habe Lust zur Arbeit. Ich weiß auf einmal ganz unmittelbar, daß Du ja da bist, wieder bei mir sein wirst. Du sagtest manchmal, Deine Briefe seien trocken. Ich spüre das nicht – wohl aber, wie Kraft und Ruhe von ihnen ausgeht. Ich danke Dir vielmals, daß Du mir so gut schreibst. Besonders habe ich mich über den Handkuß gefreut. Ich weiß nicht, wer Dir diese ritterliche Geste beigebracht hat, aber ich hatte sie sehr gern an Dir – zugleich herzlich u. voll Distanz ist sie. Daß ich kleine Hände habe, ist eine Deiner unhaltbaren Theorien! Du hättest nur hören sollen, wie die Mutter sich immer beklagte, daß ich durchs Geigen viel zu lange Finger kriegte! Relativ klein ist sie natürlich, weil sie in Deine ganz hineingeht.

Daß das Päckchen Unsinn war, habe ich mir eigentlich selbst gesagt. Ich habe es eigentlich mehr für mich gepackt als für Dich. Es ist so hübsch, sich einzubilden, daß man etwas für Dich tut. Darum schicke ich Dir auch so gern Geld, trotzdem es mir nicht leicht fällt. Ich merke jetzt erst, wie viel Du mir erspart hast durch Deine Hilfe. Wegen jeder kleinen Reparatur muß ich den Handwerker kommen lassen, ich muß auswärts essen u. viel öfter die Aufwartung nehmen. Nun denke ja nicht, daß ich mir etwas abgehen lasse! Du mußt auch unbedingt schreiben, wenn Du für Deine Gesundheit Geld brauchst. Nicht wahr, das tust Du mir nicht an, da zu sparen! Das wäre ein Vertrauensbruch!

Lieber Georg, Du mußt jetzt versuchen festzustellen, wie es mit Dir wird. Melzer sprach davon, daß in ca. 4 – 5 Wochen der Prozeß sein wird. Das müßte Ende Juli, Anfang August sein. Wenn Du weißt, daß Du nach Leipzig kommst, wird ja Gelegenheit genug sein, Melzer wegen der Verteidigung zu sprechen. Andernfalls müßte M. nach dort kommen u. das müßte man rechtzeitig einleiten.

Da die Schulungslager nicht stattfinden, gehe ich erst 14 Tage ins Schullandheim. Du wirst nicht sehr erbaut sein, daß ich mich in den Ferien so anstrenge. Aber es geht leider nicht anders. Ich brauche übrigens in Rüssen jetzt viel weniger Kraft als früher. Ich war jetzt gerade 3 Tage draußen, um die ganz erschöpfte Frau Dr. Wenke zu vertreten, da habe ich es gemerkt. Danach fahre ich nach Lobenstein.

Und nun leb wohl!

Alles Gute.

Deine Schwester Hedy lässt Dich viel- vielmals grüßen.