Autor: sb_anna

Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

ob dieser Brief vernünftig wird, weiß ich nicht; er entsteht in der allgemeinen Schreibstunde u. ich muß zwischendurch die unmöglichsten Fragen beantworten.

Es geht mir sehr gut hier – nicht schlecht, wie Du vielleicht fürchtest. Hier sind ausnahmslos nette Kinder – 18 Stück – u. ich habe überhaupt keine Not mit ihnen. Wenn hier u. da etwas zu erziehen ist, besorgten das die anderen Kinder, ehe ich mich rühre. Ich sehe immer wieder, daß Deine Theorie richtig ist, daß Kinder am besten durch Kinder erzogen werden, und je „erfahrener“ ich werde, um so mehr halte ich mich zurück u. lasse diese gesunde gegenseitige Erziehung wirken. Ich habe ein paar einzige Kinder hier, von denen die Mütter sagten, daß sie zuhause nervös und unfolgsam seien. Hier merkt man sie gar nicht. Ein paar ganz entzückende Kleine habe ich mit. Du solltest nur sehen, wie resolut die sind u. alles mitmachen, was die Großen tun.
Natürlich bin ich den ganzen Tag bei ihnen u. eine Entspannung ist das nicht. Aber was sollte dann aus mir werden, wenn die Kinder mich nicht in Atem hielten? Jetzt ist das Gefühl der Einsamkeit u. der Trennung von Dir zurückgedrängt. Das ist nur so ein dumpfer bohrender Schmerz, der mich freilich nicht verlässt. Aber wenn ich mir selbst überlassen bin, könnte ich manchmal verzweifeln. Das ist natürlich ein ganz unvernünftiges Gefühl. Wenn man die Sache vernünftig betrachtet, werden wir bald wieder zusammen sein. Aber man wird manchmal ungeduldig.

Hoffentlich bekomme ich Sonnabend einen Brief von Dir. Ich warte so sehnlich darauf. Man sollte das gar nicht glauben, wie teuer einem solch Lebenszeichen sein kann. Wenn es mir fehlt, wie letzte Woche, denke ich gleich, Du bist krank. Bitte schreibe mir wieder einmal, was Dein Magen macht.

Jetzt bei der furchtbaren Hitze mußte ich immer an Dich denken. Das war doch sicher sehr anstrengend, bei solcher Temperatur körperlich zu arbeiten. Ich habe Ruth bei der Abrechnung geholfen u. war von der Hitze so kaputt, daß ich mich zum Schluß immer versehen habe. Wir haben freilich auch jeden Abend bis 1, 2 Uhr geschrieben. Ruths Praxis vergrößert sich von Mal zu Mal.

Und nun alles Gute für Dich, lieber lieber Junge!

Deine Rosel.

Brief von Georg

Meine liebste Kleine,

hoffentlich hast du inzwischen meinen letzten Brief erhalten. Ich habe dich darin um meine alten gelben Schuhe gebeten. Die Verwendung von neutralen Umschlägen ist nicht erlaubt. Du mußt deshalb dafür sorgen, daß jemand meine Briefe dir nachsendet. Wegen meiner Überführung nach Leipzig werde ich in den nächsten Tagen an den Rechtsanwalt schreiben. Selbstverständlich werde ich mich sehr freuen, wenn du der Verhandlung beiwohnen könntest. Wir müssen doch zusammen sein, wenn über unsere nächste Zukunft entschieden wird. Über diese Zukunft mache ich mir übrigens keine Sorgen. Wir werden schon alles überstehen. Sei deshalb nicht traurig. Meine Haare sind inzwischen ziemlich lang geworden. Zur Zeit der Verhandlung werden sie schon ihre normale Länge haben. Du brauchst also an die Ehescheidung nicht zu denken.

Erhole dich so gut, wie du kannst und denke an

deinen Georg.

Brief von Rosemarie

Lieber, guter Georg,

heute ist der erste Tag meiner langen Ferien (bis 8. August). Ich verbringe ihn in der Sidonienstraße. Hella ist krank, Mutter mit Klaus schon abgereist, Ruth hat furchtbar viel Patienten. Da kann ich mich schon nützlich machen. Außerdem will ich auch Ruth bei der Abrechnung helfen. Wenn ich damit fertig bin – am 3. 7. – fahre ich auf 12 Tage mit 14 Kindern nach Rüssen. Alle Altersstufen von 8 – 14 sind vertreten. Da es aber lauter nette Kinder sind u. ich nicht zu unterrichten brauche, wird es mich nicht besonders anstrengen. Ich bin auch jetzt viel routinierter als früher u. werde mit meiner Kraft rationell umgehen. Vom 14. – 17. Juli will ich zuhause in der Stieglitzstraße sein, mich ganz ausschlafen u. ein wenig aufräumen. Dann fahre ich bis Ferienende auf Einladung der Mutter nach Lobenstein. Sie kocht dort selbst, so kann ich es schon annehmen.

Das ist also mein Ferienprogramm. Wie es aussehen könnte, wenn Du da wärst, daran will ich gar nicht denken.
Bitte versuche doch die Erlaubnis zu bekommen, die Briefe in neutralem Umschlag, ohne Aufdruck, schicken zu dürfen. Es erschwert mir meine Arbeit maßlos, wenn in Rüssen die Mädchen u. Schülerinnen lesen, daß Du in Sachsenburg bist. In Lobenstein würde es Onkel Max sehr unangenehm sein, wenn seine Gemeinde davon hörte. Solltest Du die Erlaubnis dazu bekommen, könntest Du mir dann nach Rüssen. Kleine Storkwitz, Gartenheim der Büttnerschen Schule (-14. 7.) u. nach Lobenstein, bei Boelsen, Treulebeweg 2 (ab 17. 7.) schreiben. Solltest Du die Erlaubnis nicht erhalten, müsstest Du an die Leipziger Adresse schreiben. Ich habe dann bloß den Nachteil, daß ich meine Post nicht umbestellen kann.

Du weißt wohl, daß ich meinen Vorgesetzten u. dem Schulamt von Deiner Verhaftung usw. Mitteilung gemacht habe. Aber daß es alle Kinder wissen, ist ja nicht nötig.

Ich hatte gehofft, Du kämest bald nach Leipzig. Da Dr. Melzer mir aber gesagt hat, daß der Prozeß erst etwa in 8 Wochen sein wird, wirst Du wohl noch in S. bleiben.

Hoffentlich kannst Du in Erfahrung bringen, ob Du so rechtzeitig nach Leipzig gebracht wirst, daß Du hier mit Dr. Melzer Deine Verteidigung gründlich besprechen kannst. Andernfalls muß Dr. M. nach Sachsenburg fahren. Vielleicht kannst Du Dich mit ihm selbst darüber verständigen, wie ihr’s halten wollt.

Ich habe gehört, (ob es zutrifft, weiß ich nicht), daß ihr in Sachsenburg das Haar kurz geschnitten habt. Vielleicht kannst Du es Dir, da Du bald nach Lpzg. kommst, etwas wachsen lassen?

Schreibe mir einmal, was Dir lieber ist: ob ich bei dem Prozeß zuhören soll oder gar nicht dabei sein.
Es wäre, glaube ich, ganz zweckmäßig, wenn Du Dir aufschriebest, was Du Dr. Melzer sagen willst.
So, jetzt will ich vorläufig schließen. Vielleicht habe ich noch etwas auf Deinen Brief zu erwidern.
30. 6.

Lieber Georg,
bin eben aus der Sidonienstr. nachhause gekommen. Leider ist kein Brief da. Das jedes Mal eine furchtbare Enttäuschung. Vielleicht kommt er morgen noch.
Morgen zahle ich Geld an Dich ein, trotzdem Du’s nicht erbeten hast. Sei bitte nicht böse. In Rüssen kann ich es nicht einzahlen.

Deine sehr traurige Rose.

Brief von Georg

Meine liebe Kleine,

wenn meine alten gelben Schuhe noch existieren, schicke sie mir bitte zu. So wie sie sind! Über deinen Brief habe ich mich sehr gefreut. Es tut mir nur sehr leid, daß du so sehr sparen mußt. Es freut mich andererseits, daß du meine Abwesenheit immer wieder merkst. In meiner Sache muß ich noch abwarten, bis mir der Tag der Verhandlung offiziell mitgeteilt wird. Erst dann kann ich wegen der Überführung nach L. etwas erfahren. Im übrigen rechne ich auf die Energie des Rechtsanwaltes. Trotz der Hitze geht es mir ganz gut. Keine Kopfschmerzen! Ich habe eine Zeit lang ziemlich viel Sport getrieben. Es freute mich dabei, daß ich meine Sache nicht schlechter machte, als die meisten Jüngeren. Ich habe mich somit noch ganz gut erhalten!

Verliere nicht den Mut, meine Kleine und denke an Georg.

Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

ich kann Dir gar nicht sagen, welche Zaubermacht die kleinen weißen Zettel mit den kärglichen Zeilen haben, die ich jeden Sonntag bekomme. Eben noch war ich mürrisch, langsam bei der Arbeit, das Leben sah grau und hoffnungslos aus. Kaum habe ich den Brief von Dir in der Hand, werde ich froh und habe Lust zur Arbeit. Ich weiß auf einmal ganz unmittelbar, daß Du ja da bist, wieder bei mir sein wirst. Du sagtest manchmal, Deine Briefe seien trocken. Ich spüre das nicht – wohl aber, wie Kraft und Ruhe von ihnen ausgeht. Ich danke Dir vielmals, daß Du mir so gut schreibst. Besonders habe ich mich über den Handkuß gefreut. Ich weiß nicht, wer Dir diese ritterliche Geste beigebracht hat, aber ich hatte sie sehr gern an Dir – zugleich herzlich u. voll Distanz ist sie. Daß ich kleine Hände habe, ist eine Deiner unhaltbaren Theorien! Du hättest nur hören sollen, wie die Mutter sich immer beklagte, daß ich durchs Geigen viel zu lange Finger kriegte! Relativ klein ist sie natürlich, weil sie in Deine ganz hineingeht.

Daß das Päckchen Unsinn war, habe ich mir eigentlich selbst gesagt. Ich habe es eigentlich mehr für mich gepackt als für Dich. Es ist so hübsch, sich einzubilden, daß man etwas für Dich tut. Darum schicke ich Dir auch so gern Geld, trotzdem es mir nicht leicht fällt. Ich merke jetzt erst, wie viel Du mir erspart hast durch Deine Hilfe. Wegen jeder kleinen Reparatur muß ich den Handwerker kommen lassen, ich muß auswärts essen u. viel öfter die Aufwartung nehmen. Nun denke ja nicht, daß ich mir etwas abgehen lasse! Du mußt auch unbedingt schreiben, wenn Du für Deine Gesundheit Geld brauchst. Nicht wahr, das tust Du mir nicht an, da zu sparen! Das wäre ein Vertrauensbruch!

Lieber Georg, Du mußt jetzt versuchen festzustellen, wie es mit Dir wird. Melzer sprach davon, daß in ca. 4 – 5 Wochen der Prozeß sein wird. Das müßte Ende Juli, Anfang August sein. Wenn Du weißt, daß Du nach Leipzig kommst, wird ja Gelegenheit genug sein, Melzer wegen der Verteidigung zu sprechen. Andernfalls müßte M. nach dort kommen u. das müßte man rechtzeitig einleiten.

Da die Schulungslager nicht stattfinden, gehe ich erst 14 Tage ins Schullandheim. Du wirst nicht sehr erbaut sein, daß ich mich in den Ferien so anstrenge. Aber es geht leider nicht anders. Ich brauche übrigens in Rüssen jetzt viel weniger Kraft als früher. Ich war jetzt gerade 3 Tage draußen, um die ganz erschöpfte Frau Dr. Wenke zu vertreten, da habe ich es gemerkt. Danach fahre ich nach Lobenstein.

Und nun leb wohl!

Alles Gute.

Deine Schwester Hedy lässt Dich viel- vielmals grüßen.

Brief von Georg

Meine liebe Kleine,

deinen Pfingstenbrief habe ich doch erhalten. Über deinen letzten Brief habe ich mich sehr gefreut. Du siehst nun selbst ein, daß ich dich richtig eingeschätzt habe. Ich kann noch hinzufügen, daß du meine Erwartungen bei weitem übertroffen hast. Dein Paket habe ich auch erhalten. Von den meisten Sachen kann ich allerdings keinen Gebrauch machen. Das Leben im Lager stellst du dir offenbar viel zu idyllisch vor.

Was hast du in der Pfingstwoche gemacht? Ich habe eine Menge neuer Lieder gelernt und denke daran, daß wir sie einmal bei unseren Spaziergängen werden zusammen singen können. Du mußt unbedingt mit deiner Mutter nach Lobenstein fahren. Du wirst dich dort trotz allen Schwierigkeiten besser als in Leipzig erholen. Und darauf kommt es ja in erster Linie an. Es ist für uns beide sehr wichtig.

Ich küsse deine kleinen Hände

Ge.

Brief von Rosemarie

Lieber Junge,

eben habe ich mich einer höchst merkwürdigen Tätigkeit hingegeben. Ich suchte im Glasschrank Sagen des klassischen Altertums u. fand die Briefe Deines Schwarms aus Deiner Jugendzeit. Ich habe sie gleich gelesen und die Zähne zusammengebissen. Das war ja ein verflucht hochnäsiges Luder! (Entschuldige!) Und all’ die schönklingenden selbsterfundenen Sentenzen, mit denen sie Dich füttert! Wenn man aber mit der Laterne hinter die Worte leuchtet, steckt nichts dahinter. Puh! Du hast mir die Briefe ja früher mal gegeben, aber da haben sie gar keinen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Ich leide nicht an Einbildung, wie Du selber weißt, aber nach dieser Lektüre gebe ich Dir beinah recht, daß ich ein besserer Kamerad in einer Notzeit für Dich bin, als sie es gewesen wäre. Gott, Junge, was hab’ ich Dich gern, liebes altes Scheusal. Ach, sei nicht böse, ich vergesse manchmal, daß nicht Du allein die Briefe liest. Ich fange jetzt nicht noch einmal an.

Weißt Du, warum ich so relativ vergnügt bin? Ich mußte für die Akademiker-Hilfe ein Karteiblatt ausfüllen, u. a. auch Deine bisherigen Arbeiten anführen. Ich kramte im Schreibtisch den Solowjew , die Nummern des „Archivs“ und all die vielen Sonderabdrucke heraus. Dabei wurde ich vergnügt: was hast Du schon alles geschafft! Da kannst Du ganz stolz sein. Auch aus einem anderen Grunde hat mich das, ebenso wie Katharinas Briefe, aufgeheitert. Ich mußte an unsere Verlobungszeit denken, wo die „Geschichtsphilosophie Solowjews“ gedruckt erschien. Weißt Du noch, wie wir mal bei Dir den Stoß schmucke blaue Bände vorfanden? Da kriegte ich gleich einen mit einer schönen Widmung. Damals war ich so furchtbar glücklich, daß ich manchmal dachte: für dieses Glück wirst Du einmal zahlen müssen. Na, jetzt hat das Bezahlen angefangen. Aber, Georg, das sollst Du wissen: es gibt keine Sorge u. kein Leid, mit dem mir alles Gute u. Glückliche, das wir gemeinsam hatten, überzahlt schien.

Ich schicke Dir heute ein Päckchen. Sei nicht böse u. lache mich nicht aus!

Ob Du zu den großen Ferien zurück bist? Ich fürchte beinah nicht! Ich gehe dann nach Lobenstein u. in ein Schulungslager.

Wie du wohl jetzt aussiehst? 2 Monate habe ich Dich nun nicht mehr gesehn. Das wird mir am sauersten, daß ich Dich nicht besuchen darf.

Alles Gute!

Deine Frau.

Eben habe ich Deinen lieben Brief erhalten. Es tut mir schrecklich leid, daß Du letzte Woche ohne Brief warst.

Brief von Georg

Meine liebe Kleine,

diese Woche habe ich von dir kein Brief erhalten. Ich war darüber sehr traurig. Offenbar hast du besonders viel zu tun gehabt. Vor einigen Tagen habe ich die Anklageschrift erhalten. Erkundige dich, ob der Rechtsanwalt eine Abschrift bekommen hat. Der Tag der Verhandlung steht noch nicht fest. Sie ist in 4 – 5 Wochen zu erwarten. Man wird mich aller Wahrscheinlichkeit nach Leipzig bringen. Auf diese Weise wird es vielleicht möglich sein, daß wir uns bald wieder sehen werden. Du kannst dir denken, wie ich mich darüber freue. Das Geld habe ich bekommen. Schicke mir einstweilen nichts mehr. Es sei denn, daß ich darum bitten werde. Für das nächste Mal erwarte ich von dir einen umso längeren Brief. Du weißt ja, wie viel es mir daran liegt, alles zu wissen, was in deiner Umgebung vorgeht.

D. Georg.

Brief von Rosemarie

Lieber, guter Georg,

wieder Festtage ohne Dich! Ich weiß gar nicht mehr, wie das ist, wenn man Freude und Sorge, Fest und Arbeit mit dem Kameraden teilt. Freilich denke ich manchmal, daß es sehr gut für mich ist, die Lebensweise meiner unverheirateten Berufskolleginnen kennen zu lernen. Ich verstehe sie jetzt viel besser als früher, u. sie tun mir schrecklich leid in ihrer Einsamkeit. Aber deshalb leide ich doch jeden Tag neu u. mit gleicher Intensität darunter, daß ich von Dir getrennt bin. Trotz Streit u. Widerspruch u. gegensätzlicher Anschauungen waren wir beide so ganz zusammengehörig. – Wann ich Dich mal wieder sehe? Sollte der Sommer drüber vergehen – unser schöner Sommer? Denkst Du manchmal an die vergangenen Sommer? An das Kleinzschocher-Bad mit Schwimmen, Vorlesen, Ringspiel? Und nach dem Baden gab’s Gurken- und Tomatensalat oder Deine ewigen Bohnen. Und Buttermilch vom vollschlanken Ehepaar Müller. – Ich denke jetzt so oft an einen Sommerabend. Da gingen wir beide vorm Schlafengehen noch einmal auf die Veranda u. guckten uns die Sterne u. den Wald an. Da sagtest Du: „Wir haben es eigentlich sehr gut!“ Jetzt schaue ich mir die Sterne allein an u. sage zu mir selbst: „wenn ihr nur geahnt hättet, wie gut ihr es damals hattet!“

Wie ich von Dr. Melzer hörte, ist die Anklage gegen Dich nunmehr formuliert. Darüber bin ich eigentlich froh. Es ist ein Schritt weiter zur Klärung Deines Falles. Und – wie ich fest überzeugt bin – es ist ein Schritt zu unserem baldigen Wiedersehen. Ach, wie will ich mich freuen! Ich glaube, ich falle um vor Freude, oder kann kein Wort sagen, oder heule, was ich jetzt manchmal so gern tun möchte u. nicht kann.

Denke Dir, mit meiner Schularbeit habe ich jetzt etwas ganz Interessantes zu tun. Ich lese mit meiner Klasse den Homer. Und der gefällt mir so. Diese ollen Griechen sind Prachtburschen. Gar nichts von „edler Einfalt, stiller Größe“. Wilde und rohe Kerle sind das, aber von einer Kraft u. Intensität, voller Lebensfülle, daß es einen begeistern kann. Die Mädels sind viel zu jung, um zu spüren, welche Wucht u. Kraft in der Dichtung steckt. Immerhin werden sie vielleicht lernen, daß da etwas Schöneres vor ihnen steht als ihre Backfischbücher, die sie leider immer noch lesen.

Leb wohl, lieber Junge! Alles Gute!

Dein guter Freund.

(Weißt Du, daß Du mich in der Widmung Deiner Doktorarbeit so genannt hast?)
Heute 15 M an Dich eingezahlt.

Brief von Georg

Meine liebe Kleine,

vielen herzlichen Dank für deinen Brief. Ich bin sehr froh, daß du wieder gesund bist. Es scheint, daß es viel schlimmer war, als ich aus deinem letzten Brief entnehmen konnte. Wegen meiner Gesundheit brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich bin übrigens so braun geworden, wie ich dies nie in meinem Leben war.

Ich erinnere mich nicht, dir von der „kurzen Zeit“ geschrieben zu haben. Die Dauer der Haft ist unbestimmt. Vielleicht lässt sich etwas durch den Rechtsanwalt erreichen! Ich freue mich sehr, daß du dich mit pädagogischer Theorie befasst. Ich habe es oft bedauert, daß der ausgezeichneten Praktikerin das Interesse für theoretische Fragen anscheinend fehlte. Was mich betrifft, habe ich jede Theorie an den Nagel gehängt und fülle mein Leben mit praktischer Tätigkeit aus.* Ziehe keine falschen Schlüsse aus dem unfrank(ierten) Brief.

D. Georg.