Autor: sb_anna

Brief von Rosemarie

 

Lieber Junge,

der Brief nach Sachsenburg sollte gerade abgeschickt werden, da erhielt ich Deinen aus Leipzig, für den ich Dir sehr, sehr danke. Er ist so gut und tröstend. Auch ich sehe die Lage so wie Du, habe sie immer so gesehen. Es hat keinen Zweck, Vogel-Strauß-Politik zu treiben. Trotzdem hoffe ich auf ein – schlimmstenfalls kurzes – Zusammentreffen mit Dir.

Vorläufig freue ich mich darauf, Dich einen ganzen Vormittag lang sehen zu dürfen, denn ich werde bei der Verhandlung sein.

Den Gedanken, Englisch als Fakultas zu machen, habe ich schon selbst gehabt. Es ist aber vorläufig nicht durchführbar wegen Zeitmangels. Allein die Vorbereitung zu den 2 Konversationsstunden, die ich pro Woche habe, kostet mich viel Zeit, die ich eigentlich für Schule oder Haushalt brauche.

Nun leb wohl für heute. Ich werde Deinen Brief immer wieder lesen, u. es wird so sein, als ob ich Deine lebendige Stimme hörte. Du bist ja immer bei mir trotz unserer Trennung.

Deine Rose.

Sehr bedauere ich, daß ich die fertig zurechtgemachte Drucksache nun nicht nach S. schicken kann. Als Du aus Chemnitz schriebst, wagte ich nicht, sie abzuschicken, ich konnte mir gar nicht denken, daß Du auf so kurze Zeit nach S. kämest. Nun ist es zu spät!

Brief von Rosemarie

Lieber, guter Georg,

hoffentlich der letzte Brief an Dich! Der letzte Du, wie das klingt! Aber es kann nicht anders sein. Dein Brief vom 17. hat mich so froh gemacht. Du hast Deine Lage und die Möglichkeiten stets vollkommen richtig beurteilt, richtiger als ich und sogar Dr. Melzer. Darum steckt mich jetzt Dein Optimismus so an. Weißt Du, ich habe, besonders in der ersten Zeit Deiner Verhaftung, mit einer so schrecklichen Intensität auf Dich gewartet, Tag um Tag gehofft und immer umsonst, daß ich schließlich gar nichts Gutes mehr hoffen konnte. Ich hielt diese furchtbaren Enttäuschungen gar nicht mehr aus, darum wurde meine Seele ökonomisch und ergab sich einem traurigen Fatalismus. Jetzt aber kann ich wieder lachen u. erlaube meiner Fantasie sogar, sich auszudenken, wie das sein wird, wenn man wieder von den festen, warmen Händen seines Kameraden geführt wird. Siehst Du, ich war sehr selbständig dieses Jahr, und ich bin in meinem Selbstgefühl gestärkt; niemand anderem möchte ich meine so schwer u. so spät errungene Selbständigkeit opfern. Allein mich von meinem Schulmeister und Herrn regieren u. schulmeistern zu lassen ist mein sehnlichster Wunsch. Ich wünsche es aus purem Egoismus. Ganz instinktiv suche ich Deine Erziehung, die mir gibt, was mir bisher gefehlt hat.

Nun werde ich 31 Jahre; das ist noch jung, Georg, ja? Verloren ist das Jahr insofern, als ich kein Kind haben konnte. In anderem Sinne ist es aber eines der wichtigsten u. wertvollsten Jahre meines Lebens. Ja, Georg, trotz der Qual, der Sorge, die ich nie wieder erleben möchte. Wertvoll, weil sich erwiesen hat, daß der Grund, auf den ich mein Leben bauen will – unsere Ehe – so hart und sicher ist, wie ich’s kaum geglaubt hätte.

Als ich in Deinem letzten Brief las, daß für Dich das Leben im Lager psychologisch und menschlich interessant war, da mußte ich denken, was ich schon so oft gedacht habe: Du bist so sehr ein geselliges Wesen u. Gemeinschaftsmensch, daß so ein Leben mit 1, 2 Menschen, Frau u. Kindern, gar nichts für Dich ist. Je größer die Gemeinschaft, umso lieber ist es Dir.

Sicher hast Du Deine Frau gar nicht so vermißt? Mir ist es ja auch so ähnlich ergangen wie Dir. Mir hat auch eigentlich das Leben in meiner Arbeitsgemeinschaft, mit Kollegen u. Schülern, die Einsamkeit tragbar gemacht. In solcher Gemeinschaft gibt es 100 Möglichkeiten, sich einzusetzen, sich zu erproben an etwas Überindividuellem.

Ich weiß wohl, daß ich nach dem 1. Nov. noch warten muß. Aber doch, Junge: Auf Wiedersehen!

Deine M.

 

 

Brief von Georg

Konzentrationslager Sachsenburg. II. Gefang.-Komp. I. Zug.

 Meine liebe Kleine,

es ist sicher für dich eine Enttäuschung, daß ich wieder in Sachsenburg bin. Du darfst dir aber keine Gedanken machen. Ich komme doch bald wieder nach Leipzig. Ich denke immer daran, wie du die Ferien verbringst. Du sollst gesund und leistungsfähig sein, wenn ich wieder in L. bin. Die Rückkehr nach Sachsenburg hat auch ihre guten Seiten. Ich habe wieder die zahlreichen Freunde sprechen können, die ich hier im Laufe der letzten 6 Monate gefunden habe. Das Lager war für mich auch sonst eine ausgezeichnete Schule für Menschenkunde. Noch nie kam ich mit so vielen und so verschiedenen Menschen in Berührung. Meine Karte aus Chemnitz sowie meine Schuhe hast du wohl erhalten. Du weißt also, daß ich immer daran denke, wie es dir geht und wie du deine Tage verbringst. Es wird auch bald die Zeit kommen, in der dein Herr und Schulmeister wieder zu Hause ist.

Dein Georg.

 

Karte von Georg

Polizeipräsidium Chemnitz, Zelle 55

Meine liebe Rose,
seit Freitag bin ich in Chemnitz. Wann ich nach Sachsenburg komme, weiß ich noch nicht. Es tut mir sehr leid, daß unser Briefwechsel auf diese Weise gestört wird. Über deine Briefe habe ich mich sehr gefreut. Das umso mehr als ich wusste, daß du gerade in den letzten Tagen sehr beschäftigt warst. Früher konnte ich ja dir etwas helfen. Jetzt mußt du die ganze Arbeit allein machen. Wegen der Änderung meines Aufenthaltsortes bin ich gar nicht unglücklich. Mich interessiert vielmehr sehr, wie es jetzt in Sachsenburg aussieht. Ich weiß ja auch, daß ich in höchstens 2 Wochen wieder nach Leipzig komme. Die Verhandlung findet am 1. November statt. Deinen Geburts- und unseren Hochzeitstag wirst du nun allein verbringen. Sei aber darüber nicht traurig. Wir sehen uns ja bald wieder. Der Rechtsanwalt rechnet bestimmt mit dem Freispruch. Es war übrigens gut, daß er nicht nach Sachsenburg gefahren ist. Er hat mich in Leipzig wiederholt besucht. Schicke mir bitte 5 Exemplare meiner Arbeit aus der Braun-Festschrift. Geld brauche ich nicht. Nutze die Ferien recht gut aus, damit du ganz auf der Höhe bist, wenn ich zu Hause bin. Wir werden dann unsere Familienfesttage nachholen.
Mit herzlichen Grüßen

Dein Georg.

Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

eben habe ich zu meiner Freude erfahren, daß ich Dir schreiben darf.

Guter, lieber Junge, wieviel Geduld mußt Du haben! Immer wieder versuche ich mich in Deine Lage zu versetzen. Dann kann ich nicht anders als Deine Festigkeit und Ruhe bewundern, mit der Du die lange Zeit ertragen hast und noch erträgst. Du findest sogar noch Kraft, mich zu trösten. Immer wieder nehme ich Deinen letzten Brief in meine Hände und lese ihn von neuem.

Lieber Georg, fühlst Du es auch so wie ich, daß dieses Jahr der Trennung – dieses scheinbar so leere, fruchtlose Jahr – unsere Ehe auf wunderbare Weise gefestigt und vertieft hat? Ich lebe trotz der Trennung so intensiv mit Dir, wie zu der Zeit, als Du bei mir warst. Ja, beinah intensiver. Denn alles Alltägliche und Unwesentliche unserer Beziehung fällt weg und die eigentlichen Züge Deines Wesens stehen mir ganz klar vor Augen. So lebe ich mit Dir, und immer wieder vergleiche ich Dich mit den Menschen um mich. Und ich komme dabei zu dem Resultat, daß es keinen gibt wie Dich. Der eine ist klug, geistig aktiv, grundanständig, aber in unerträglicher Weise bewußt u. reflektiert, wie es nur intellektuelle Frauen sein können. Im Umgang mit solchen Menschen erfaßt mich einfach ein Durst nach Deiner Unmittelbarkeit. Ein anderer Mensch ist weich, liebenswürdig, aber man steht immer auf dem schwankenden Boden der Charakterlosigkeit. Wie sehne ich mich unter solchen Menschen nach Deiner Wahrhaftigkeit u. Konsequenz. Ach, und dann die Sorte der guten Menschen, mit denen man aber kein vernünftiges Gespräch führen kann! Was gäbe ich darum, mit Dir über meine Arbeit, Bücher, Menschen sprechen zu dürfen! Entsinnst Du Dich an unsere Abendgespräche vor dem Einschlafen? Manchmal kann ich es gar nicht für wahr halten, daß ich einen Kameraden wie Dich gehabt habe.

Hoffentlich ist die Verhandlung bald. Man muß sehr dankbar sein, daß sie aufgeschoben wurde und Du nunmehr die Möglichkeit zu ausgiebiger Verständigung hast. Aber es wäre doch schrecklich, wenn es nun noch sehr lange dauerte!
Denke Dir, am vergangenen Mittwoch war Herr Schulratshelfer Fritsche bei mir. Meine 6. Klasse arbeitete frisch darauf los – ich habe ganz kluge Kerlchen drin. Die Hefte usw. waren auch in Ordnung, so daß alles gut abging. Du kannst Dir denken, wie froh ich war!
Nun viele, viele Grüße! Ich schaue so oft meine Hände an, die Du noch vor gar nicht langer Zeit in Deinen hieltest. Aber man sieht es ihnen gar nicht an.

Immer Deine Frau.

Brief von Rosmarie

Mein lieber, guter Georg,

Du glaubst nicht, wie freudig überrascht ich war, einen Brief von Dir zu bekommen. Ich danke Dir sehr dafür.
Deine Bücher und Manuskripte sind eingetroffen. Wegen der Schuhe schreibe ich gleich nach S. Wäsche kann für Dich (Buchstabe S.) nur am Freitag abgeliefert werden. Ich wollte an sich jetzt, für die kurze Zeit bis zur Verhandlung, keine Gesuche nach Dr(esden – V.H.) schicken. Bitte sage Herrn Dr. Melzer Bescheid, ob ich doch wegen der Bücher eines machen soll.
Ein bißchen sträflingsmäßig sahest Du mit Deinen kurzen Haaren schon aus, aber das ist mir ganz egal. Ich war so schrecklich froh, Dich sehen zu dürfen. Du kannst noch ganz anders auftreten, und es wird nichts schaden.
Ich will ganz geduldig und ganz vernünftig sein. Aber freuen darf ich mich doch auf Dich, wenn auch vorläufig nur ein bißchen. Junge, wenn ich nicht gewußt hätte, was Du mir wert bist – jetzt wüßte ich es nach diesen 10 Monaten.
Denke bei Deiner Verhandlung an ein möglichst gutes Deutsch! Bitte, bitte, verstehe, wenn ich nicht dabei bin. Meine einzige Chance an der Schule ist, mein persönliches Schicksal überhaupt nicht in sie hineinzutragen. An sich ist es mein größter Wunsch, dabei zu sein.
Es dankt Dir für alle Deine Liebe

Deine Rose.

Brief von Georg

Gefangenenanstalt Leipzig I, Leipzig, Moltkestraße 47

Meine liebe Rose,

nun bin ich wieder in Leipzig. Du kannst dir denken, wie ich mich darüber freue. Meine Überführung geschah in größter Eile; so kam es, daß ich meine braune Sportschuhe im Lager vergessen habe. Vielleicht schreibst du dahin (an die Häftlingskammer), daß die Schuhe dir zugeschickt werden möchten. Vor einer Woche habe ich einen Teil meiner Bücher und meine Manuskripte nach Hause geschickt. Schreibe mir bitte, ob du sie erhalten hast. Ich hoffe, daß man mir auch in Leipzig erlauben wird, Bücher aus der Universitäts-Bibliothek zu benutzen. Es tut mir sehr leid, daß ich hier nur alle 14 Tage schreiben darf. Ich wurde jedoch insofern entschädigt, daß ich dich, wenn auch nur ganz kurze Zeit, sprechen durfte. Du hast dich dabei überzeugen können, daß ich gesundheitlich durchaus auf der Höhe und ganz ruhig bin. Ich bin überzeugt, daß das Schlimmste schon überstanden ist und daß die Zukunft eine wesentliche Besserung unserer Lage bringen wird. Armes Mädchen, du hast dich gestern so aufgeregt. Ich kann mir auch denken, wie schwer dir die letzten 10 Monate gefallen sind. Unser einer hat doch stärkere Nerven. Über die Socken, die ich im Lager von dir bekommen habe, habe ich mich jeden Tag gefreut. Es war der einzige Gegenstand, den ich sehr brauchte und an dessen Anschaffung ich kaum gedacht hätte. Gestern wurden mir im Lager etwa 6 Briefe von dir ausgehändigt, die ich dort nicht lesen durfte. In diesen Briefen schriebst du mir von deiner Absicht, mich zu besuchen. Daher kam es, daß dein Besuch eine große Überraschung für mich war und daß ich mich für eine Unterhaltung mit dir gar nicht vorbereitet war. Ich hätte zu mindesten meine Berufskleidung (weiße Mütze, weiße Jacke und Schürze) angezogen. Dies hätte auf dich einen Eindruck gemacht. Es tut mir sehr leid, daß ich neulich vor dir mit kurzem Haar auftreten mußte. Ich habe mich sehr darüber geärgert, aber es war nichts zu machen. Dura lex, sed lex. Ich sagte dir schon, daß ein Freispruch noch keine Entlassung zur Folge haben wird. Es muß noch die Entlassung aus der Schutzhaft genehmigt werden. Darüber entscheidet das Polizeiamt. Ich würde dir überhaupt raten, keine Illusionen über die kommenden Ferien zu machen. Sehe zu, daß du dich im Laufe dieser Woche erholst. Eine Erholung brauchst du viel eher als ich. Wäsche wird hier jeden Tag bis 14 angenommen. Du brauchst dich jedoch nicht zu beeilen, da ich für die kommende Woche versorgt bin. In der nächsten Zeit wird man mich hoffentlich in eine Einzelzelle überführen. Sonst kommt man wenig zur Arbeit und zum intensiven Nachdenken. Ich habe schon ein entsprechendes Gesuch an das Gericht geschrieben. Später werde ich vielleicht dich wieder mit meinen Bücherwünschen belästigen. Du könntest auf alle Fälle eine entsprechende Genehmigung aus Dresden einholen. Wir werden uns hoffentlich bald wiedersehen! Ich küsse deine kleine Hand und deine traurigen Augen.

Dein Georg.

Brief von Georg

Meine liebe Kleine,

ich hoffe, daß du inzwischen mein Paket mit Büchern usw. erhalten hast. Ich bin sehr froh, daß ich dies alles schon jetzt nach Hause schicken durfte. Es war gleichzeitig ein kleines Lebenszeichen von mir. Der 14. Oktober beschäftigt mich sehr. Die Zeit geht mir jetzt viel zu langsam. Ich weiß dabei nicht, ob die Verhandlung oder das Wiedersehen mit dir ausschlaggebend ist. Wenn ich nach Leipzig komme, werde ich dir sofort schreiben. Du wirst sicher eine Besuchserlaubnis bekommen. Ich erinnere mich an deinen Besuch in Sachsenburg. Es tut mir nur leid, daß ich so wenig Zeit für dich hatte. Über deine Ferien mache dir keine Illusionen. Eine Enttäuschung wird ja sonst umso bitterer sein. Ich bin immer sehr froh, wen ich meinen Freunden über dich erzählen kann. Nur wenige haben eine so tüchtige Frau wie ich.

Dein Georg.

Zu diesem Brief gibt es noch ein angefangenes Konzept vom 26.:

Meine liebe Kleine,

über die Socken freue ich mich jeden Tag. Es ist ein Gegenstand, den ich jetzt nötig brauche, und den ich von mir aus nicht angeschafft hätte. Vielen vielen Dank! Ein Paket mit Büchern hast du wohl bekommen. Ich habe auf diese Weise meinen Koffer wesentlich erleichtert. Auf den 14. Oktober warte ich mit größter Ungeduld. Ich weiß aber nicht

Brief von Rosemarie

Lieber Junge ,

eigentlich hätte ich alles andere zu tun als an Dich zu schreiben. Korrigieren, lernen, Zensuren schreiben, Pflichtbriefe – aber alles das reizt mich im Augenblick garnicht. So rede ich mir denn ein, daß ich vielleicht heute, an Mutters Geburtstag, keine Zeit zum Schreiben haben werde und schreibe gleich an Dich.
Dein Brief ist doch noch gekommen, Montag früh, und er war so nett, daß ich gleich getröstet war. Ich freue mich so, Dich bald zu sehn. Es wird auch bestimmt Zeit sein, mit Melzer alles zu besprechen, da er sich nun doch entschlossen hat, keine Verteidigungsschrift fertigzustellen. Es ist wohl auch nicht gebräuchlich, nur hatte Herr Pfarrer Reinmuth ihn dazu bestimmen wollen.
Klara ist nun schon fast 3 Wochen bei mir. Sie ist mir einerseits eine große Hilfe, andrerseits brauche ich aber meine ganze Selbstbeherrschung, um geduldig zu bleiben. So reißt sie mir jede Arbeit, die in ihr „Ressort“ fällt, aus der Hand – aus purer Hilfsbereitschaft. Am liebsten möchte sie mich mästen wie eine Martinigans und all ihren abergläubischen Regeln – was man essen u. nicht essen tun u. nicht tun darf, will sie mich unterwerfen. (So aß sie z. B. nicht Bückling u. Obst, weil man davon einen „Blutsturz“ bekäme).
Sie ist das seltsamste Gemisch von rührender Güte, Selbstlosigkeit, absoluter Borniertheit u. Eigensinn, das man sich nur denken kann. Auf die Dauer würde ich verrückt mit ihr – oder ganz schlecht. Schon der sakrale Eifer, mit dem sie das Kochen, Reinmachen, Waschen betreibt, bringt mich zur Verzweiflung! In der Zeitung liest sie nur die Annoncen.
Na, nun genug von Klara. Junge, denkst Du manchmal daran, wie fein es sein wird, wenn du wieder zuhaus bist! Wenn Du doch am 14. entlassen würdest! Da habe ich gerade Ferien! bis zum 21. X. Ich hätte dann wirklich Zeit für Dich, was doch während meiner Schulzeit nicht der Fall ist. – Deine Schutzhaft ist doch sicher mit dem 14. beendet. Mir wurde seinerzeit in Dresden mitgeteilt, daß Du vor dem 14. nicht entlassen werden könntest. Daraus ziehe ich den Schluß, daß Du eben nach dem 14. herauskommst. Vielleicht kannst Du Dir bei Deiner Abreise aus Sachsenburg darüber Klarheit verschaffen.
Gib, wenn möglich, gleich Nachricht, wenn du nach Leipzig kommst, damit Melzer Dich gleich aufsuchen kann.

Immer Deine M.

Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

offenbar hast Du auch diese Woche keine Schreiberlaubnis bekommen, denn Dein sonntäglicher Brief ist ausgeblieben. Na, Junge, was machst Du, daß Du nicht schreiben darfst? Oder bist Du krank? Ich kann es beinah nicht glauben, nachdem ich Dich so frisch und voller Spannkraft gefunden habe. Hoffentlich kriege ich nächsten Sonntag Post! Ich habe die kleinen, wirklich manchmal ein bissel trockenen Briefe doch ganz schrecklich gern. Ein Satz, ein Wort ist doch fast in jedem, sodaß man es wie einen Druck Deiner festen, guten Hände spürt.

Dieser Tage fiel mir einmal ein Gespräch ein, daß wir in unserer Verlobungszeit führten. Ich schwärmte davon, wie ich an Deinen wissenschaftlichen Arbeiten teilnehmen wollte, für Dich u. mit Dir Facharbeiten lesen usf. Ich war sehr enttäuscht, daß diese Pläne gar nicht Deinen Beifall fanden, Du vielmehr wolltest, daß ich meine von Dir unabhängige geistige Existenz, Sonderinteressen u. –aufgaben behalten sollte. Wie recht Du hattest, sehe ich jetzt. Was sollte jetzt aus mir werden, wenn ich nicht meinem Beruf, meine Geige, meine eigenen Freunde hätte? So treibe ich z. B. öfters Musik – gestern spielte ich einen prachtvollen Bach – ein Violinkonzert. Dann je eine Sonate von Händel, Schumann u. Grieg. Es war ein richtiges Programm u. leidlich durchgeführt.

Eines wollte ich Dir schon oft schreiben – etwas, was ich immer wieder mit Stolz u. Freude erlebe. Alle Menschen, die Dich kennen, sprechen stets mit größter Achtung u. Liebe von Dir – trotz alledem, was mit Dir im letzten Jahr geschehen ist. Ich bin der festen Überzeugung, daß auch die Menschen, mit denen Du jetzt zu tun hast u. noch zu tun haben wirst, in Dir den sauberen u. anständigen Charakter erkennen werden.

Sehr erheiternd ist Friedas, Mutters Mädchens, Vorliebe für Dich. (Eure Bekanntschaft besteht vermutlich darin, daß sie Dir ein paar Mal die Tür aufgemacht hat.) Du bist entschieden ihr „Typ“, denn sie hat versichert, sie würde Dich gleich heiraten, wenn Du nicht schon „weg“ wärst. (d. h. verheiratet) Über Dein Fernbleiben zerbricht sie sich gemeinsam mit den Kindern den Kopf. Klaus fragt am getreulichsten nach Dir. Neulich sagt er abends beim Gute-Nacht-sagen ganz zutraulich: „Du Roli, Du hast Dich wohl mit Onkel Georg geschieden?“ Ich versicherte ihm aber das Gegenteil.

Georg, sorge – wenn möglich – dafür, daß Dr. Melzer sobald wie möglich erfährt, wen Du ev. als Zeugen vorgeladen haben willst. Frl. Reinmuth hat, wie mir Dr. Melzer mitteilte, um die Vorladung ihres Vaters u. Frl. Ferkels nachgesucht.

Bleib gesund, lieber, guter Junge!

Deine Rose.