Brief von Rosemarie

Ach, Schorsch, was habe ich manchmal das Verlangen, mich mit einem vernünftigen Manne, d. h. mit Dir zu unterhalten. Ich spreche ja viel mit meinen Kolleginnen, und es sind sehr gescheite Frauen darunter. Aber sie sind so „vergeistigt“, das fällt mir manchmal auf die Nerven. Mich nennen sie auch „erdverbunden“, ich weiß nicht, ob das in ihren Augen etwas Gutes ist oder nicht. Ich kann und mag freilich nicht in natürlichen u. anschaulichen Dingen alles mögliche Rätselhafte u. Symbolische sehn. So unterhalten wir uns jetzt über Märchen, weil wir einen Märchenabend machen. Da gibt es so ein prachtvolles Märchen vom Hasen und Swinegel. Die machen einen Wettlauf, den der Igel gewinnt. Er setzt nämlich seine Frau, die genau so aussieht wie er, an das Ziel, u. die ist dann schon da, wenn der Hase ankommt. Diese saftig u. anschaulich erzählte Geschichte mit ihrer ganz naiven Freude an der Schlauheit des einen, der Dummheit des andern „Wettläufers“ soll den tiefen Sinn haben, daß der Mann stets eine ihm ebenbürtige Frau wählen soll. Das ist doch recht albern!

Diese Frauen haben übrigens manchmal eine ziemlich ungeistige Auffassung der Beziehung zwischen Mann u. Frau, lehnen sie für sich ganz ab als etwas Minderes. Da sehe ich denn zu meinem Staunen, daß ich erdschweres Wesen eine sehr viel geistigere Auffassung von der Liebe habe als sie. Na, es sind trotz allem tapfere u. tüchtige Geschöpfe, die berufstätigen Frauen.

Aber ein Gespräch mit meinem Mann, das ist freilich etwas anderes. Entsinnst Du Dich noch an einen Abend im Januar 1929, da unterhielten wir uns über Probleme des Bauerntums. Seltsamer Weise ist mir bei diesem Gespräch zum ersten Mal der Gedanke aufgetaucht, daß wir uns heiraten würden. Man merkte genau, daß der eine ganz klar erfaßte, was der andere sagte. Du erklärtest mir etwas – genau das, was ich wissen wollte. Und ich merkte, daß Dir meine Fragen recht waren. Mir sind solche Gespräche, wo umschichtig der eine u. der andere einen Stein hinzufügt, bis ein hübsches Gebäude entstanden ist, am liebsten. Du hast es freilich lieber, wenn man sich im Gespräch gegenseitig mit Gedankensteinen bewirft, d. h. eine scharfe Diskussion führt. Ich glaube, Du magst den Gesprächspartner am meisten, dessen Anschauungen den Deinen diametral entgegengesetzt sind. Alter Streitbock, Du!

Na, nun Schluß. Jetzt gehe ich schlafen. Gute Nacht, lieber Junge!

Deine R.

Warum hast Du mir heute keine schmutzige Wäsche geschickt? Ich will sie doch waschen!