Lieber Georg,
das war gestern ein anstrengender und aufregender Tag, aber mit viel Schönem – und vor allem einem guten Ende.
Aber nun muß man wieder Geduld haben. Die Mitteilung von Deinem Freispruch geht jetzt an das Ministerium bezw. das Polizeiamt; das wird noch eine Weile dauern. Dr. Melzer fährt zwar Montag, Dienstag nach Dresden u. will bei dieser Gelegenheit nachfragen, aber ich nehme an, daß er noch nichts erfahren wird.
Ob Du Deinen Tabak bekommen hast, weiß ich nicht. Gestern abend konnte ich, nachdem Du mich darum gebeten hattest, Dr. Melzer nicht mehr sprechen. Er war gleich weggegangen. Heute früh versuchte ich ihn zu erreichen, mußte aber dann in die Schule u. konnte ihn bloß eine Bestellung hinterlassen.
Heute hatte ich dummen Schulärger – eigentlich bin ich jetzt böse auf mich, daß ich mich ärgerte, ich habe doch weit wesentlichere Dinge im Kopf. Eine Kollegin hatte mir allerlei vertrauliche Mitteilungen über einen Kollegen gemacht. Ich war so dumm u. ließ mich auf das Gespräch ein und äußerte auch meinerseits meine Beobachtungen. (Der Kollege wird mit den Kindern nicht fertig.) Jetzt hat sie ihm aber alles wiedererzählt, was ich gesagt habe, u. er ist wütend auf mich. Ich war nicht unfair genug, um ihm zu berichten, was diese selbe Kollegin von ihm gesagt hatte. Man kann eben nicht vorsichtig genug mit seinen vertraulichen Mitteilungen über andere Personen sein.
Ich freue mich so wahnsinnig auf Dich. Ich wage aber einfach nicht zu glauben, daß Du wieder bei mir sein könntest. Das Zusammensein gestern war so unwirklich, wie im Traum saß ich bei Dir und konnte nichts anderes als in dem geliebten aufgeschlagenen Buch Deines Gesichtes lesen. Das ist mir so tief vertraut in jedem Zug und doch kann ich gar nicht müde werden, jede seelische Regung, die sich darin zeigt, aufzufangen. Wenn Du ganz böse, häßlich Dinge sagtest oder tätest, so brauchte ich bloß in Dein Gesicht zu sehn, um trotzdem an Dich zu glauben. Lachst Du über Deine übertriebene Frau? Solche außergewöhnliche Situationen wie jetzt bringen einen zu übersteigerten Gefühlsäußerungen.
Nun will ich gleich in die Stadt fahren u. deshalb aufhören.
Leb wohl, lieber, lieber Junge, laß es Dir gut gehen u. denke an Deine Frau. Ihr Leben hängt von Deinem Glück ab. Wenn Du leidest, ist ihr das ganze Leben eine Qual.
D. R.