Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

ich sitze im Zug u. werde gleich zu Dir fahren. Ich habe erst noch die Post abgewartet, nun habe ich endlich Deinen lieben Brief in Händen. Er würde mir große Sorgen bereiten, wenn ich nicht zu Dir fahren dürfte. So werde ich Dich bald sehen, Deine Hände haben. Da treten alle Sorgen in den Hintergrund.

Auch ich zähle – wie Du – die Tage u. Wochen bis zum 14. Oktober. Ich glaube bestimmt, daß dieser Tag uns vereinigen wird. Es kann ja nicht anders sein. Ich fühle mich ganz mutig für das Leben, das dann für uns kommen wird u. das ja noch viel größere Schwierigkeiten bringen wird als unser bisheriges. Wenn wir nur wieder zusammen sind.

Der Zug schüttelt so, u. ich freue mich so schrecklich. Da kann ich gar nicht weiter schreiben. Auf der Heimfahrt wird es besser gehen. —
Nein, es geht nicht besser. Nun sind die wenigen Minuten, auf die ich mich 5 Tage lang gefreut habe, schon wieder vorbei. Nun heißt es wieder Geduld haben u. warten.

Aber schön war es doch, Dich zu sehen – noch dazu gesund u. voller Spannkraft. Ich mußte da, während ich Dir gegenüber saß, an ein Wort denken, das jemand über Dich gesagt hat: Du seist „gesammelt“, darum würde es Dir vor Gericht gut gehen, d. h., Du würdest einen guten Eindruck machen. Hoffentlich!

Es ist auch gut, daß ich das Milieu kenne, in dem Du lebst. Gartenhüte, Badehosen u. Sportunterhosen passen da freilich nicht herein.
Lieber, guter Junge, Du warst so gut zu mir. Und es fällt Dir sicher schwer, vor fremden Menschen so zu mir zu sein. Ich vergesse dann ganz, daß ich nicht mit Dir allein bin. Aber darüber bist Du doch nicht böse? Bitte nicht.

Wenn man in die Nähe Eures Lagers kommt, hört man immer das Singen. Das macht einen sehr seltsamen Eindruck.
Ich denke, daß Du möglichst bald versuchen mußt, zu erfahren, wann vor dem 14. ein Gefangenentransport nach Leipzig geht, damit Du dann mitgenommen wirst!

Hoffentlich kommt bald Dein Schreiben an Melzer?

Nun alles Gute für Dich! Dein Freund.

Entschuldige die Schrift! Im fahrenden Zug schreibt’s sich schlecht. Willst Du unsere graue Decke als Schlafdecke haben?