Brief von Georg

Gefangenenanstalt Leipzig I, Leipzig, Moltkestraße 47

Meine liebe Rose,

nun bin ich wieder in Leipzig. Du kannst dir denken, wie ich mich darüber freue. Meine Überführung geschah in größter Eile; so kam es, daß ich meine braune Sportschuhe im Lager vergessen habe. Vielleicht schreibst du dahin (an die Häftlingskammer), daß die Schuhe dir zugeschickt werden möchten. Vor einer Woche habe ich einen Teil meiner Bücher und meine Manuskripte nach Hause geschickt. Schreibe mir bitte, ob du sie erhalten hast. Ich hoffe, daß man mir auch in Leipzig erlauben wird, Bücher aus der Universitäts-Bibliothek zu benutzen. Es tut mir sehr leid, daß ich hier nur alle 14 Tage schreiben darf. Ich wurde jedoch insofern entschädigt, daß ich dich, wenn auch nur ganz kurze Zeit, sprechen durfte. Du hast dich dabei überzeugen können, daß ich gesundheitlich durchaus auf der Höhe und ganz ruhig bin. Ich bin überzeugt, daß das Schlimmste schon überstanden ist und daß die Zukunft eine wesentliche Besserung unserer Lage bringen wird. Armes Mädchen, du hast dich gestern so aufgeregt. Ich kann mir auch denken, wie schwer dir die letzten 10 Monate gefallen sind. Unser einer hat doch stärkere Nerven. Über die Socken, die ich im Lager von dir bekommen habe, habe ich mich jeden Tag gefreut. Es war der einzige Gegenstand, den ich sehr brauchte und an dessen Anschaffung ich kaum gedacht hätte. Gestern wurden mir im Lager etwa 6 Briefe von dir ausgehändigt, die ich dort nicht lesen durfte. In diesen Briefen schriebst du mir von deiner Absicht, mich zu besuchen. Daher kam es, daß dein Besuch eine große Überraschung für mich war und daß ich mich für eine Unterhaltung mit dir gar nicht vorbereitet war. Ich hätte zu mindesten meine Berufskleidung (weiße Mütze, weiße Jacke und Schürze) angezogen. Dies hätte auf dich einen Eindruck gemacht. Es tut mir sehr leid, daß ich neulich vor dir mit kurzem Haar auftreten mußte. Ich habe mich sehr darüber geärgert, aber es war nichts zu machen. Dura lex, sed lex. Ich sagte dir schon, daß ein Freispruch noch keine Entlassung zur Folge haben wird. Es muß noch die Entlassung aus der Schutzhaft genehmigt werden. Darüber entscheidet das Polizeiamt. Ich würde dir überhaupt raten, keine Illusionen über die kommenden Ferien zu machen. Sehe zu, daß du dich im Laufe dieser Woche erholst. Eine Erholung brauchst du viel eher als ich. Wäsche wird hier jeden Tag bis 14 angenommen. Du brauchst dich jedoch nicht zu beeilen, da ich für die kommende Woche versorgt bin. In der nächsten Zeit wird man mich hoffentlich in eine Einzelzelle überführen. Sonst kommt man wenig zur Arbeit und zum intensiven Nachdenken. Ich habe schon ein entsprechendes Gesuch an das Gericht geschrieben. Später werde ich vielleicht dich wieder mit meinen Bücherwünschen belästigen. Du könntest auf alle Fälle eine entsprechende Genehmigung aus Dresden einholen. Wir werden uns hoffentlich bald wiedersehen! Ich küsse deine kleine Hand und deine traurigen Augen.

Dein Georg.