Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

Dein letzter Brief hat gleich alles wieder gut gemacht, was der vorletzte weh getan hat. Ich fragte mich immer wieder, ob denn in einer ganzen Woche nicht Zeit sei zu 10 Minuten Konzentration, um mir auf 21 kurzen Zeilen irgend etwas Gutes zu schreiben. Etwas Gutes als Antwort auf meinen vorletzten Brief – in dem ich glaubte, alle Kraft, allen Mut u. meine ganze Liebe für Dich zusammengefaßt zu haben. Nun, Dir hat einmal der letzte besser gefallen – aber jedenfalls ist alles wieder gut. Ich habe wieder das Gefühl, in nahem Kontakt mit Dir zu stehen. Das ist das Einzige, was ich nicht verlieren darf, ohne zusammenzubrechen.

Du hast in Deiner Haftzeit so selten einen Wunsch geäußert, daß mich der eine, wiederholt geäußerte, nach Leipzig überführt zu werden, nicht ruhen ließ. Ich wandte mich also trotz der Ferien an Dr. Melzer, der mir mitteilte, daß man sich an die Ge. Sta. Po. wenden müsse. Da ich heute ganz unverhofft einen freien Sonnabend hatte, fuhr ich gleich nach Dresden.

Ich mußte etwas warten, bis ich vorgelassen wurde. Während ich im Vorraum saß, kam eine junge, frische Frau und ließ ihren Mann, einen der Herren von der Geh. Sta. Pol., herausbitten, um ihm etwas Vergessenes zu bringen. Der Herr war ungefähr in Deinem Alter, u. ich dachte, als ich die beiden so fröhlich zusammen sah, daß wir auch mal so harmlos u. glücklich miteinander waren, daß ich Dich vielleicht auch so angeschaut habe, wie die junge Frau ihren Mann.

Nachher erwies es sich, daß derselbe Herr Dein Sachbearbeiter ist. Er teilte mir auf meine Fragen mit, daß Du vor dem 14. Okt. keinesfalls entlassen werden könntest, daß Du, wie üblich, einige Tage vor der Verhandlung nach Leipzig kämest. Man könne keine Ausnahme mit Dir machen, indem man Dich längere Zeit vorher nach Lpzg. brächte. Eine Unterredung Dr. Melzers mit Dir in Sachsenburg würde gestattet werden. (Bereite Dich also darauf vor.)

Es tut mir furchtbar leid, daß ich Dir keinen besseren Bescheid schicken kann. Ich hoffe doch, daß Du in Sachsenburg Gelegenheit haben wirst, mit Dr. M. Deine Verteidigung ausführlich zu besprechen. Am besten alles auch schriftlich niederlegen.

Weiterhin teilte mir der Herr noch etwas mit, was ich Dir eigentlich verschweigen wollte. Aber ich glaube, Klarheit ist hier doch das Beste. Wie es scheint, berät man augenblicklich darüber, ob Du ausgewiesen werden sollst oder nicht. Bitte teile mir mit, ob ich mich in dieser Sache schon jetzt an die Kreishauptmannschaft wenden soll. Oder ist es besser, auch damit bis nach dem Prozeß zu warten? Vielleicht geht es auch noch gut u. Du wirst nicht ausgewiesen.

Hast Du das Geld vom 1. 8? Wann brauchst Du wieder?

Hedy habe ich Mitteilung gemacht von dem Entzug der Staatsbürgerschaft. Sie ist in großer Sorge um Dich.

Viele Grüße u. alles Gute!

D. M.

Eines halte ich für möglich. Sollte Deine Gesundheit nicht gut sein, indem Dein Magenleiden schlimmer geworden ist, würde vielleicht ein entsprechendes Gesuch um Haftentlassung mit beigefügtem Zeugnis Erfolg haben. Eben lese ich noch einmal Deinen Brief u. stelle fest, daß Du Deine Frau in zu „rosigem“ Lichte siehst. Aber wenn Deine Charakteristik auch falsch ist – so viel Selbstkritik habe ich noch – ich spüre doch eine Wärme in Deinen freundlichen Worten, die mir viel Kraft gibt. Ich bin auch so froh, daß Du auf mich zuläufst, wie ich auf Dich. Noch 65 Schritte, wenn alles gut geht. Das ist doch nicht viel!
Es ist auch sehr gut, daß Dir die Tage dort kurz sind. Da vergehen sie schnell!