Lieber, guter Georg,
nun bin ich schon wieder 2 Tage hier. Es gefällt mir doch ganz gut, viel besser, als ich dachte. Ich gehe jeden Tag mit Ruth u. Hella schwimmen. Hella lernt es nämlich jetzt. Es schwimmt sich sehr gut in dem sauberen Koselwasser, viel besser als in der dreckigen Elster in Groitzsch, wohin wir von Rüssen aus gingen. Jetzt brauche ich auch nicht dauernd aufzupassen, daß kein Kind ertrinkt, sich erkältet oder sonst etwas. Das ist ein großer Vorteil.
Ich sitze jetzt vor Ruths Häuschen auf Ruths Grundstück. Es grenzt rechts an Boelsens Garten, liegt auf der gleichen Höhe u. hat denselben schönen Blick. Du entsinnst Dich gewiß noch vom vorigen Jahr daran, wie Boelsens Grundstück liegt. Ruths Häuschen ist ganz primitiv – ein Wohnraum, Balkon u. Garten – aus blanken Tannenbohlen gebaut. Es gefällt mir aber sehr gut. Ich dachte sofort daran, daß wir zwei einmal im Sommer darin wohnen könnten, wenn Ruth es nicht braucht. Das Häuschen ist eigentlich viel mehr für 2 erwachsene Personen geeignet als für sie mit ihren 2 Kindern u. vielem Kram. Sie wohnt ja auch wieder bei Boelsens. Aber es ist natürlich schlecht, Ruth darum zu bitten, ob wir hier wohnen dürfen, wenn man nicht weiß, ob es ihr recht ist.
Ich denke jetzt so oft an voriges Jahr, wie Du mich hier besuchtest mit dem Rad. Diese 2 Tage sind mir in herrlicher Erinnerung. Um so trauriger ist für mich der Gedanke, daß Du dieses Jahr mich nicht besuchen kannst. Aber ich habe immer die Hoffnung, daß, wenn die großen Ferien u. der August vorbei sind, wir uns dann wiedersehen. Meinst Du nicht auch?
Zwischen Rüssen u. Lobenstein war ich 4 Tage ganz allein in unserer Wohnung, um meine Kleider zu waschen, plätten u. um aufzuräumen. Diese Tage waren ganz schrecklich. Ich hatte lauter traurige Gedanken u. fühlte mich entsetzlich einsam. Da sah ich erst, wie gut es für mich ist, meinen Beruf u. meine Familie zu haben. Unter Menschen – besonders unter Kindern – bei der Arbeit wird man immer abgelenkt, trotzdem mich der Gedanke an Dich gar nicht verläßt. Aber allein u. ohne geistige Arbeit wäre ich ganz verdreht geworden. Du bist für mein Leben so furchtbar wichtig, daß ich die Trennung von Dir, und eine so sorgenvolle Trennung gar nicht aushalten könnte, wenn ich nicht noch anderes Wichtiges hätte.
Ich bin sehr froh, daß Du viel singst. Das hilft einem, wenn man betrübt ist.
Wegen des Haares habe ich nicht etwa aus egoistischen Gründen gefragt. Du wirst mir lieb sein, ohne u. mit Haar u. wie Du auch aussehen magst. Das hindert nicht, daß ich Dein Haar sehr gern mag.
Schreibe bitte Deine nächsten beiden Briefe für mich an die Kanzlei Dr. Melzer, Katharinenstraße. Von dort werden mir die Briefe nach hier nachgeschickt.
Alles Gute, mein lieber Junge!
Bist Du mit Deinem Magen in Ordnung.
Deine Rose.