Brief von Rosemarie

Lieber, guter Georg,

heute ist der erste Tag meiner langen Ferien (bis 8. August). Ich verbringe ihn in der Sidonienstraße. Hella ist krank, Mutter mit Klaus schon abgereist, Ruth hat furchtbar viel Patienten. Da kann ich mich schon nützlich machen. Außerdem will ich auch Ruth bei der Abrechnung helfen. Wenn ich damit fertig bin – am 3. 7. – fahre ich auf 12 Tage mit 14 Kindern nach Rüssen. Alle Altersstufen von 8 – 14 sind vertreten. Da es aber lauter nette Kinder sind u. ich nicht zu unterrichten brauche, wird es mich nicht besonders anstrengen. Ich bin auch jetzt viel routinierter als früher u. werde mit meiner Kraft rationell umgehen. Vom 14. – 17. Juli will ich zuhause in der Stieglitzstraße sein, mich ganz ausschlafen u. ein wenig aufräumen. Dann fahre ich bis Ferienende auf Einladung der Mutter nach Lobenstein. Sie kocht dort selbst, so kann ich es schon annehmen.

Das ist also mein Ferienprogramm. Wie es aussehen könnte, wenn Du da wärst, daran will ich gar nicht denken.
Bitte versuche doch die Erlaubnis zu bekommen, die Briefe in neutralem Umschlag, ohne Aufdruck, schicken zu dürfen. Es erschwert mir meine Arbeit maßlos, wenn in Rüssen die Mädchen u. Schülerinnen lesen, daß Du in Sachsenburg bist. In Lobenstein würde es Onkel Max sehr unangenehm sein, wenn seine Gemeinde davon hörte. Solltest Du die Erlaubnis dazu bekommen, könntest Du mir dann nach Rüssen. Kleine Storkwitz, Gartenheim der Büttnerschen Schule (-14. 7.) u. nach Lobenstein, bei Boelsen, Treulebeweg 2 (ab 17. 7.) schreiben. Solltest Du die Erlaubnis nicht erhalten, müsstest Du an die Leipziger Adresse schreiben. Ich habe dann bloß den Nachteil, daß ich meine Post nicht umbestellen kann.

Du weißt wohl, daß ich meinen Vorgesetzten u. dem Schulamt von Deiner Verhaftung usw. Mitteilung gemacht habe. Aber daß es alle Kinder wissen, ist ja nicht nötig.

Ich hatte gehofft, Du kämest bald nach Leipzig. Da Dr. Melzer mir aber gesagt hat, daß der Prozeß erst etwa in 8 Wochen sein wird, wirst Du wohl noch in S. bleiben.

Hoffentlich kannst Du in Erfahrung bringen, ob Du so rechtzeitig nach Leipzig gebracht wirst, daß Du hier mit Dr. Melzer Deine Verteidigung gründlich besprechen kannst. Andernfalls muß Dr. M. nach Sachsenburg fahren. Vielleicht kannst Du Dich mit ihm selbst darüber verständigen, wie ihr’s halten wollt.

Ich habe gehört, (ob es zutrifft, weiß ich nicht), daß ihr in Sachsenburg das Haar kurz geschnitten habt. Vielleicht kannst Du es Dir, da Du bald nach Lpzg. kommst, etwas wachsen lassen?

Schreibe mir einmal, was Dir lieber ist: ob ich bei dem Prozeß zuhören soll oder gar nicht dabei sein.
Es wäre, glaube ich, ganz zweckmäßig, wenn Du Dir aufschriebest, was Du Dr. Melzer sagen willst.
So, jetzt will ich vorläufig schließen. Vielleicht habe ich noch etwas auf Deinen Brief zu erwidern.
30. 6.

Lieber Georg,
bin eben aus der Sidonienstr. nachhause gekommen. Leider ist kein Brief da. Das jedes Mal eine furchtbare Enttäuschung. Vielleicht kommt er morgen noch.
Morgen zahle ich Geld an Dich ein, trotzdem Du’s nicht erbeten hast. Sei bitte nicht böse. In Rüssen kann ich es nicht einzahlen.

Deine sehr traurige Rose.