Brief von Rosemarie

Lieber Junge,

eben habe ich mich einer höchst merkwürdigen Tätigkeit hingegeben. Ich suchte im Glasschrank Sagen des klassischen Altertums u. fand die Briefe Deines Schwarms aus Deiner Jugendzeit. Ich habe sie gleich gelesen und die Zähne zusammengebissen. Das war ja ein verflucht hochnäsiges Luder! (Entschuldige!) Und all’ die schönklingenden selbsterfundenen Sentenzen, mit denen sie Dich füttert! Wenn man aber mit der Laterne hinter die Worte leuchtet, steckt nichts dahinter. Puh! Du hast mir die Briefe ja früher mal gegeben, aber da haben sie gar keinen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Ich leide nicht an Einbildung, wie Du selber weißt, aber nach dieser Lektüre gebe ich Dir beinah recht, daß ich ein besserer Kamerad in einer Notzeit für Dich bin, als sie es gewesen wäre. Gott, Junge, was hab’ ich Dich gern, liebes altes Scheusal. Ach, sei nicht böse, ich vergesse manchmal, daß nicht Du allein die Briefe liest. Ich fange jetzt nicht noch einmal an.

Weißt Du, warum ich so relativ vergnügt bin? Ich mußte für die Akademiker-Hilfe ein Karteiblatt ausfüllen, u. a. auch Deine bisherigen Arbeiten anführen. Ich kramte im Schreibtisch den Solowjew , die Nummern des „Archivs“ und all die vielen Sonderabdrucke heraus. Dabei wurde ich vergnügt: was hast Du schon alles geschafft! Da kannst Du ganz stolz sein. Auch aus einem anderen Grunde hat mich das, ebenso wie Katharinas Briefe, aufgeheitert. Ich mußte an unsere Verlobungszeit denken, wo die „Geschichtsphilosophie Solowjews“ gedruckt erschien. Weißt Du noch, wie wir mal bei Dir den Stoß schmucke blaue Bände vorfanden? Da kriegte ich gleich einen mit einer schönen Widmung. Damals war ich so furchtbar glücklich, daß ich manchmal dachte: für dieses Glück wirst Du einmal zahlen müssen. Na, jetzt hat das Bezahlen angefangen. Aber, Georg, das sollst Du wissen: es gibt keine Sorge u. kein Leid, mit dem mir alles Gute u. Glückliche, das wir gemeinsam hatten, überzahlt schien.

Ich schicke Dir heute ein Päckchen. Sei nicht böse u. lache mich nicht aus!

Ob Du zu den großen Ferien zurück bist? Ich fürchte beinah nicht! Ich gehe dann nach Lobenstein u. in ein Schulungslager.

Wie du wohl jetzt aussiehst? 2 Monate habe ich Dich nun nicht mehr gesehn. Das wird mir am sauersten, daß ich Dich nicht besuchen darf.

Alles Gute!

Deine Frau.

Eben habe ich Deinen lieben Brief erhalten. Es tut mir schrecklich leid, daß Du letzte Woche ohne Brief warst.