Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

ich war gerade dabei, an Dich zu „orakeln“, (wie Vater meine Briefschreiberei nannte), da kam Dein ersehnter Brief, (vom 15.). Es war ¾ 6, als ich ihn bekam, ich hoffte aber doch noch, das Päckchen für Dich bis um 6 fertig zu kriegen. Leider ist es mir nicht gelungen, trotzdem ich ganz wild umhergesprungen bin. Es gibt aber irgend eine Stelle, die Pakete bis 11 Uhr abends annimmt. Die werde ich gleich erkunden. Ich freue mich immer ganz schrecklich, wenn ich ein bißchen was für Dich tun kann, alter, lieber Junge.

Ich bin ganz froh, daß Du gesund bist und daß Du mir ein wenig Haltung und Festigkeit zutraust. Schon um Dein Zutrauen nicht zu täuschen, werde ich mich nicht hinsetzen wie eine Trauerweide und jammern – obwohl das Ohne-Dich-sein schrecklich ist – immer schrecklicher mit jedem Tag. Da hilft eben nur arbeiten – und ich habe es ja eben gut, eine sinnvolle schöne Arbeit tun zu dürfen.

Also Du schreibst, daß ich Dich nicht besuchen darf. Überhaupt nicht? Das wäre ja schrecklich! Vernünftig betrachtet waren die halbstündigen Unterredungen vor einem Fremden ja nicht viel wert. Aber sie bedeuteten für mich eine große Kraftquelle. Man sah, daß Du da warst, man konnte Dich anfassen, um sich zu überzeugen, daß man wieder einmal bei Dir war. Als ich Dich das letzte Mal besuchte, überraschte mich eines: das hatte ich ganz vergessen, wie hell Dein Gesicht wird, wenn Du lachst. Dein Lachen kann ich seitdem immer sehen, wenn ich die Augen zumache.

Na, jetzt lachst Du über Deine sentimentale Frau.
Versäume ja nicht, Deine schmutzige Wäsche zu schicken, damit sie rechtzeitig gewaschen werden kann. Darfst Du Geldsendungen annehmen? Soll ich Dir eine Zeitung bestellen?

So, das wäre der Brief für die nächste Woche. Vergangene Woche habe ich mehr als einen geschrieben – die hast Du nun nicht gekriegt. Schade, ich war immer dankbar für diese Möglichkeit des Kontaktes zwischen uns. Aber im Grunde sind Briefe ja auch nicht nötig. Ich bin auch so bei Dir u. Du bei mir

Deine Rosel.