Brief von Rosemarie

Lieber Georg,

heute habe ich Dein Bücherpaket erhalten u. weiß nun wieder, wohin ich meine Gedanken schicken soll. D. h. ehrlich gestanden weiß ich nicht, wo Frankenberg ist. Aber es klingt nach frischer Luft, der Du hoffentlich teilhaftig wirst. Nach dem militärisch klingenden Absender scheint ja Aussicht darauf zu bestehen. Jetzt hast Du vielleicht auch Gesellschaft, was Dir nach der 5 Monate langen Einzelhaft eine Abwechslung sein wird.

Als ich in Deinem letzten Brief las, daß Du nun wieder nicht nachhause, sondern noch weiter weg kommst, blieb mir mein Herz stehen vor Schreck u. Kummer. Aber dann nahm ich mich schon wieder zusammen. Ich veranstaltete ein wildes Großreinemachen, um unseren Balkon instand zu setzen. Und als alle Fenster blitzten u. der Fußboden glänzte, war mir schon besser. Dann arbeitete ich 3 Stunden für einen Universitätskurs, an dem ich jetzt teilnehme. Und dann hatte ich schließlich die Illusion, daß mir jemand über den Kopf strich u. sagte, daß ich „brav“ gewesen sei. Wenn es aber diesen jemand nicht mehr gäbe, der mir das sagen könnte, fiele ich gleich um u. rührte keine Hand mehr.

Sei nicht böse, daß ich so persönlich denke u. gar nicht sachlich. Gewiß ist mir die Sache wert oder kann mir wert sein auch ohne die Person. Aber jetzt drängt sich nur alles in den Gedanken an Dich zusammen u. alles andere scheint mir nicht so wichtig.

Dein Urteil über „Die Hauptstraße“ hat mich sehr interessiert. Natürlich hast Du recht, daß der Hennicott ein „Kerl“ ist, der was ist u. kann. Er ist ein tüchtiger Spezialist, aber sonst doch ein Banause. Daß die Frau in Deinem Urteil so schlecht wegkommt, tut mir richtig leid. Natürlich leistet sie nichts mit ihren etwas wagen u. phantastischen Plänen, aber so einen Menschen gibt es gar nicht, der die Stumpfheit und Beschränktheit der „Hauptsträßler“ überwinden könnte. Und sie ist doch ein tapferer Kerl, wie sie immer wieder versucht, Sturm zu laufen gegen die Ungeistigkeit ihrer Mitmenschen. Ich weiß aber schon, warum sie Dir nicht gefällt, weil sie ein ausgesprochen ästhetischer Typ ist.

Wenn Frankenberg nicht gar zu weit ist, möchte ich Dich doch mal besuchen. Dir scheinen vielleicht solche Besuche nicht sehr sinnvoll, da man sich nur so kurze Zeit unterhalten kann. Aber mir sind sie doch furchtbar wichtig. Deshalb bitte ich Dich mir zu schreiben, ob eine Möglichkeit besteht, Dich Sonnabend nachm. oder Sonntag zu sehen. Bitte denke daran, daß es jetzt meine einzige Freude ist.

Viele Grüße

Deine Marusja

Warum schreibst du als Absender nicht Dr. Georg Sacke. Was man so ehrlich verdient hat wie Du Deinen Dr. Titel, soll man nicht vergessen. Du weißt übrigens, daß Du Dich jetzt Dr. habil. nennen kannst? (Titel für alle, die Habil. gemacht haben, ganz gleich, ob sie an einer Universität lesen oder nicht.)